Wer kennt sie nicht die drei Rissklassiker in den Tiroler Alpen:

Pumprisse am Fleischbankpfeiler – Der erste offizielle Siebener in den Alpen von Helmut Kiene und Reinhard Karl. Am 2. Juni 1977 gelang den beiden die „cleane“ Erstbegehung ihrer Route.

Tschechenplatte an den Schnittlwänden – 1979 von J. Novak, P. Krupka und J. Doubal erstbegangen. Fünf Jahre später gelang Heinz Zak die erste Rotpunktbegehung und 1995 auch der Direktausstieg.

Locker vom Hocker an der Schüsselkarspitze – Erstbegehung Wolfgang Güllich und Kurt Albert am 31. Juli 1981 erstbegangen und wohl die erste Route alpine Route. Stefan Glowacz gelang schon im nächstem Jahr die erste Rotpunktbegehung . Im Jahr 2007 gelang dem unvergessener Hansjörg Auer eine Free-Solo Begehung.

Alle drei Routen sind phantastische Klettereien und ernste, alpine Unternehmungen, die den sicheren Umgang mit Klemmkeilen und Friends verlangen.

Nun hatten sich Hannes Hohenwarter und Martin Sieberer aus Tirol vorgenommen alle frei Routen in drei Tagen zu klettern, „by fair means“ und onsight.

„Pumprisse“, „Tschechenplatte“ und „Locker vom Hocker“. DIE drei alpinen Risskletterklassiker im Tiroler Kalk sind der Traum vieler Kletterer.

Unser Ziel: Alle 3 Routen in 3 Tagen klettern „by fair means“ und „onsight“. Als
Fortbewegungsmittel verwenden wir Bike und Zug. Die Routen befinden sich bis zu
100km voneinander entfernt in den drei Gebirgsketten Wetterstein, Karwendel und
Wilder Kaiser.

Die Protagonisten: Hannes Hohenwarter und Martin Sieberer aus Tirol. Wir sind beide
angehende Bergführer und leidenschaftliche Kletterer. Für dieses außergewöhnliche
Projekt müssen einige Faktoren zusammenspielen: Unsere körperliche und mentale
Fitness, die Verhältnisse in den Wänden und natürlich das Wetter.

Die beiden Akteure in „Locker vom Hocker“

Anfang September 2020 ist es endlich soweit. Wir starten mit unserer ersten Route im
Schüsselkar. „Locker vom Hocker“ wurde 1981 von Wolfgang Güllich und Kurt Albert
erstbegangen und gilt seither als Testpiece für ambitionierte Alpinkletterer. Ein feiner
Riss zieht vom Boden durch den steilen Plattenpanzer und markiert die beinahe cleane
1. Länge. Nach einem kurzen Quergang gilt es eine knackige Plattenstelle zu überwinden
ehe der Weg nach oben frei wird. Wir können die Route Onsight klettern. Was für ein
Start.

Nach dem Abstieg geht’s mit dem Bike knapp 30 km und 1000 hm mitten ins
Karwendel zu unserer nächsten Hürde: Tschechenplatte. Ein Naturjuwel direkt vor der
Haustüre. Zu unserem Bedauern ist die Wand feucht und der erste Riss komplett nass.
Nach einem weiten Sturz in der ersten schweren Länge konzentrieren wir uns auf den
roten Punkt. Wir können alle Längen frei klettern, auch wenn wir uns nach dem
Ausstieg wie vom Bus überrollt fühlen.

Martin Sieberer in den „Pumprissen“

Die beiden Protagonisten in der „Tschechenplatte“

Die Zeit verfliegt und wir sind schon auf dem Weg zu unseren letzten Ziel: die
legendären Pumprisse im Wilden Kaiser. Mit Bike, Zug und zu Fuß erreichen wir im
Zombie-Mode unser Nachtlager nach Sonnenuntergang. Am Morgen stehen wir
ausgelaugt von den Strapazen vor unserer letzten Hürde. Die 1. Länge der Pumprisse
wird zur Zerreißprobe. Beide testen wir nach weitem Sturz unseren Bomber-Freund
N°4. Nach kurzer Verschnaufpause gelingt die Länge und der Weg nach oben ist offen.
Den Rest klettern wir Onsight und steigen komplett erschöpft aber überglücklich oben
aus.

Martin Sieberer in den „Pumprissen“

Text und Bilder: Sieberer Martin