Die legendäre Bonatti-Route in der Matterhorn-Nordwand. Schlusspunkt wohl einer der spannendsten und erfolgreichsten, aber auch tragischsten Alpinkarrieren in der Geschichte des Alpinismus, der Endpunkt und auch Höhepunkt der extremen Bergsteigerei von Walter Bonatti. Über dessen Alleingang durch 1200 Meter lange Route in der Matterhorn Nordwand im Winter incl. dreier Biwaks, wurde schon viel geschrieben.

Nach einer vielleicht zwei Handvoll Begehungen über die Jahre, bekam die Route in diesem Herbst gleich zwei Begehungen. Neben Simon Messner und Martin Sieberer, waren auch David Bruder und Martin Feistl in der Wand erfolgreich.

Vom David bekamen wir dankenswerterweise seinen Begehungsbericht.

Matterhorn, 25.10.21, 3:00 Uhr: Die Tür fällt zu, die Anspannung ab, Ruhe vor dem Sturm draußen… „Bruder, hock‘ di na, do isch no Plätzle für Di“ „Eitel, des mach i gern! …gibt’s au ä Tee?“ Es gibt. Mit dieser herz- und gliedererwärmenden Begrüßung gehen 23h Abenteuer … nicht zu Ende: noch sind wir gut 4000m hoch am Horn der Hörner.

Walter Bonatti, der herausragende Bergsteiger der 1950er und 1960er Jahre, ist in den Alpen für zwei extreme Solos bekannt:

• Bonattipfeiler am Dru – eine sonnige, steile, oft begangene Felsfahrt, die sich mit einem großen Knall verabschiedet hat.

• Und der direkten Matterhorn-Nordwand: Der Knaller, mit dem sich Bonatti vom Extrembergsteigen verabschiedet hat. Diese sah dagegen in einem halben Jahrhundert nur eine Handvoll Begehungen. Es liegt auf der Hand, dass das Teil auf die Liste gehört. Dass ich es nie ernsthaft anpacken wollte, typische Bruder-Unlogik: immer gab‘s ne wohlfeile Ausrede: „Es passt grad nicht“.

Tatsächlich hatte ich einfach Schiss: Vor den Mythen und Legenden, den großen Namen und Epen, der Unsicherheit und fehlender Information. Vielleicht auch vor der Frage: Wird’s für mich danach auch Zeit, mit dem extremeren Bergsteigen aufzuhören, wie weiland der andere Herr B. – solange es noch geht? Dass es ganz schnell zu spät sein könnte: siehe unten. Nach dem feucht-fröhlichen Sommer ´21 dürften gute (sichere, weil eisige) Bedingungen herrschen, soviel ist nach zig Begehungen der benachbarten „Schmid“ sehr wahrscheinlich. Dass ich bald zu alt für so ein Scheiß bin, ist absehbar: Sehkraft, Kondition, Können, Leidensfähigkeit und Mut lassen schon bedenklich nach, der Erfahrungszugewinn ist beim „minimalen Grenznutzen“ angelangt, also eher bei 0. Daher: Now or Never! Ein erster Anlauf mit M.W. klappt nicht, was ich (zwischen-) menschlich bedauere: Der Rücken spielt mir einen (schmerzhaften, psychosomatischen?) Streich. Schon gepackt muss ich ungut sehr kurzfristig absagen. Dafür bestätigen S.M. und M.S. (ja mei, kann ich nix für die Initialien): Yes, it goes!

Es geht 5 Tage später mit Martin los: Das passt, wir kennen und ergänzen uns extrem gut, und teilen meist die gleiche Meinung, Einstellung, Herangehensweise. Logische(re) Entscheidung?!

Wir haben also die „Bonatti“ an der Matterhorn-Nordwand geklettert: In einem Zug von Täsch übern Gipfel zur Solvay-Biwak, in etwa 23h (bei etwa 14h Kletterzeit), ziemlich grad aus und ohne unerwartet große (also nicht ohne!) Schwierigkeiten und Gefahren. Mit e-Bike bis Schwarzsee und mit zumindest einer längeren Variante im Mittelteil nach der SSL (ca. 5 SL bis zur Schmid links der mutmaßlichen Originalroute.

Martin war für alles schwere Klettern zuständig – ich für die Grob-Planung und -Orientierung, für das „nicht-im-Nachstieg-rausfallen“ und für einige moralische Entlastung: In leichteren, unübersichtlichen Passagen sowie auf dem mir bekannten Ausstieg über „Schmid“, schließlich auf dem Abstieg über‘n gut bekannten Hörnli.

Ach ja: Zuständig auch für’s Jammern über kalte Hände und Füße. Etwas weniger gerade gelaufen ist: Nur 48h einzup(l)an(n)en, inklusive An- und Abreise; dann auch noch 1,5h später losstarten sollen, als eh schon knapp kalkuliert. sich nur zu wundern, dass der aufgehende Mond plötzlich zur Frontscheibe herein lacht (wo man doch nach Westen will), sondern mal nachhaken („O Google, Where Art Thou?“): Hatte die Abzweigung zum Oberalppass verpasst, erst am Lukmanier (also schon im Tessin) realisiert… mei, hat Barbara mich ausgelacht, als ich erzählte, wie ich den alten Straßenatlas rauskramen musste, um ich zu orientieren – die alte Seele fährt aus Prinzip ohne Google Maps, dass der Furka des Nachts schon im Wintersperrenmodus ist. Schon wieder die falsche Forststrasse zu nehmen (wie anno 2018 mit S.Z.), nur um diesmal auch noch die Skipiste und Trails hochzuradeln – das war mit dem fetten Fully zwar fast spaßig… wir sind aber nicht zum Spaß hier!

• ein 30min Vorfrühstücksnickerchen auf der Hörnli-Hütte zu machen. Immerhin ist uns ein Licht aufgegangen (draußen, die Sonne…)

• überrascht zu sein , dass… Nein, wirklich überrascht war ich mich nicht über die große, nur leicht überschneite Blutlache in Bergschrundnähe: Mir war nur zu bewusst, dass vor wenigen Tagen eine Seilschaft junger, guter Bergsteiger auf den letzten Metern der „Schmid“ zum Zmuttgrat abgestürzt ist und hier unten zum Liegen gekommen sein müsste. Dass dann das erste Eisfeld mit Blut- und Geweberesten sowie sporadisch Ausrüstung gesprenkelt ist, das war … hm, also: grausamer und bitterer wurde mir die mögliche finale Konsequenz im Bergsteigen noch nicht vor Augen geführt. War jetzt fast übertrieben drastisch, irgendwie. Gut, das könnte man auch weglassen, aus Pietätsgründen. Andererseits: Am Matterhorn klebt eine Menge Blut, wer dort unterwegs ist, sollte sich dessen bewusst sein. Dass am selben Tag ein Bergsteiger vom Lion-Grad in den Tod stürzte…ein Mist. Mein Beileid allen Hinterbliebenen.

• direkt von der höchsten Firnzunge in Fallinie der Zmuttnase einen zwar kurzen, aber offensichtlich steilen Weg durch den Aufschwung zum ersten Eisfeld zu nehmen: 2 heikle SL M6 und M5, 1H. 100m weiter links wäre zwar länger (inklusive ein leicht absteigenden Querung zum Eisfeld), aber von oben betrachtet wohl deutlich einfacher und auch schneller gegangen. S. M. und M. S. sind an der gleichen Stelle über’n Bergschrund, die erste Länge wohl von rechts her gegangen – vermutlich etwas einfacher. Bei der Gelegenheit: Danke für die Spur – hat sicher nicht geschadet. Eine Seilschaft Italiener war zu dieser späten Stunde (ca. 9:00) links von uns am Werk: Die sind über wohl „Piola“ oder „Gogna“ zum Quergang der Engel“ zugestiegen. Haben allerdings tief und fest geschlafen, als wir auf der Solvay ankamen und immer noch, als wir den Abstieg antraten – ich kann also nicht sagen, ob das viel besser war. Und im Mai wurde irgendwo dazwischen eingestiegen… Ist ein freies Land ;-).

• überflüssig, sich vor gelegentlichem Stein- und Eisschlag fürchten zu müssen: Ja, es kam immer mal was über die Zmuttnase gesegelt (nur Steine und Eis…), aber weit draußen. Nach der Querung war Ruhe, ich vermute: die ganzen „Schmidler“ waren oben schon rechts raus. • Unnötig, sich vor der SSL zu fürchten: Guter und gut absicherbar, wenn auch betont senkrechter Fels, gleich zwei H (genauso viele, wie auf dem ganzen Rest bis zur „Schmid“) und nach 15m schon wieder vorbei: Ohne die saugende Tiefe im Nacken und die himmelhohe Wand drüber wohl kaum schwerer als kurz M6-7.

• Überflüssig, sich einen Kopf um den mittleren Wandteil machen: Ja, der Bonatti ist vom Amphitheater/Eisfeld wohl eher rechts haltend weiter (Fels) um dann links zu queren. Die offensichtliche Mixedlinie ist eine durchgehende, offensichtliche Riss/Kaminverschneidung linkerhand: Schön vereist und „eisstabilisiert“ geht es in ca.5 SL bis zur „Schmid“: eingehakte M6, dann M5 und steile Eisglasuren, ausreichend absicherbar.

• zu glauben, mit Erreichen der Schmid wärs vorbei. Ja klar, es wird deutlich leichter, dazu die Begehungspuren der ganzen Hundertschaften (Tritte, Hooks, Spur). Aber: es ist noch weit…bis zum Zmuttgrat, und dann immer noch.

• den Wetterbericht bewusst zu ignorieren, der sagte: Sonntagabend auflebender, bald frischer Südwind. Tatsächlich wars arg ungemütlich direkt am Grat, auch der Hörnli segelte hart-am-Wind: so stark, dass die Schneefahnen die Spuren überwehten.

• Der Hörnligrat lässt sich bei Nacht, Sturm und Schnee tatsächlich nicht „runterhoppeln“ wie an einem schönen Sommertag: Irgendwann hab auch ich eingesehen, dass Abseilen besser und stressfreier ist. Nach diesem „extremen“ Pleiten-, Pech-, Pannen-, Umweg-, Horror-, Fehleinschätzungsmarathon endlich: „Bruder, hock‘ di na….“. Der Rest ist schnell erzählt: 3h Schlaf und ein Frühstück inklusive Kaffee (danke, Robert!) sind wir bereit für die fehlenden 2600hm zum Willi, dem treuen Sharan. Hoppeln den nun einfacheren Hörnli abwärts – mit Sonne, kaum Wind und atemberaubender Sicht: ein Traum. Verdiente Rast an der Hütte. Nerviges Gewandere auf teilweise verwehtem Weg. Rauf aufs Rad, dann läufts. Zum Schluss noch die bewährte Abschlusszeremonie: Martin sortiert das Material, ich besorge Pizza (Diavolo und Proscutto e Fungi). Ach ja, gearbeitet wird an diesem Montag…wenig. Und Dienstag nicht viel. Dafür nachgetankt, was der Kühlschrank hergibt. Bleibt noch die Frage: Mach ich jetzt den Bonatti? Ich zweifle etwas daran, dass ich mich so konsequent dem Sirenengesang der Berge entziehen können werde. Wie singt es sich doch so schön: „In unseren Herzen brennt eine Sehnsucht, die lässt uns nimmer mehr in Ruh‘“ Ich sag mal: Das „Sehn“ ist nur dem Versmaß geschuldet. „Sucht“ triffts schon eher, wenn auch nicht wirklich im Herzen – im Kopf: die Neuronen sind den regelmäßigen, fröhliche Adrenalinwaschgang gewöhnt. Nachtrag 1: meine Waden haben die Scheidung eingereicht – ich würde nie zuhören, wenn sie Probleme haben. So was. Nachtrag 2: Ganz so mythisch und legendär ist die Tour jetzt wohl nicht mehr, waren es doch vor 2021 nur 10 bekannte (?) Begehungen, sind es jetzt Minimum als 15…