Frauen klettern anders.

Unter diesem Schlagwort greifen wir in zwei Beiträgen diesen statistischen Fakt auf und zeigen, wie Frauen mehr Spaß, Gesundheit und Erfolg am Klettern haben können. Im ersten Teil beleuchtet Irmgard Braun die körperlichen Aspekte.

Die eigenen Stärken nutzen

Frauen klettern anders‘ ist ein blöder Titel. Damit wird doch wieder der Mann als Maßstab gesetzt, mit dem wir uns vergleichen, und dann fühlen wir uns schwach, klein und ängstlich.“ Die Aussage stammt von einer sehr guten Kletterin. Da ist schon was dran. Aber man kann das mit dem „anders klettern“ auch ganz neutral sehen. Und als Ansporn, selbstbewusst auf die eigene Art zu klettern und nicht Männer nachzuahmen. Wie oft hört man Frauen an der Wand jammern: „Ich bin zu klein! Das geht nicht!“ Und das stimmt meistens auch, wenn sie versuchen, die Route ihrem langen Lulatsch von Freund nachzuturnen.

Angy Eiter, die erste Frau, die eine 9b (XI+/ XII-) kletterte, sagte in einem Interview in „Land der Berge“ 3/2015 über „Hades“ (9a/ XI): „Der erste Kontakt mit der Route war frustrierend und motivierend zugleich. Die zwei schwersten Passagen konnte ich anfangs nicht bezwingen, da die männlichen Lösungswege für meine Körpergröße von 1,54 Metern außer Reichweite waren. Ich habe mich auf meine Stärke als Frau besonnen und auf kleine Griffe und Tritte geachtet.“ Es gibt – offensichtlich – körperliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Schauen wir sie uns mal mit Blick auf das Klettern genauer an. Frauen sind im Schnitt etwa 15 Zentimeter kleiner als Männer. Daher wiegen sie weniger und müssen am gleichen Griff weniger ziehen. Gleicht sich das aus? Nicht ganz. Denn Frauen (20-39 Jahre) haben einen Körperfettanteil von durchschnittlich 28 Prozent, Männer von 17 Prozent. Männer bauen leichter Muskelmasse auf und haben etwas mehr relative Kraft. Was vor allem an ihrem deutlich höheren Testosteronspiegel liegt. Dazu kommt noch die wesentlich größere Reichweite. Das ist die schlechte Nachricht.
Die gute: Frauen sind normalerweise auch beweglicher, weil ihr Muskel- und Bindegewebe elastischer ist. Und, noch wichtiger beim Klettern: Sie haben meist kleinere Hände und Füße und können kleine Griffe und Tritte besser nutzen. Dass das Folgen für den Kletterstil hat, kann man überall im Gemäuer beobachten. Viele Frauen krabbeln wie eine Spinne nach oben, während manche Männer eher wie plumpe Panther wirken. Natürlich gibt es Frauen, die brutal  weite Züge durchreißen, und Männer, die sich auf Minitritten hochschieben. Aber hier soll es um die durchschnittliche Kletterin gehen – und welches Training zu ihr passt.

Die Klettertechnik sollte dabei an erster Stelle stehen. Zwar bewegen sich Frauen in der Wand oft geschickter als Männer, weil sie ihre Kletterkarriere mit weniger Kraft in den Armen starten und daher mehr auf den Füßen stehen müssen. Trotzdem können viele Frauen ihr Bewegungsrepertoire verbessern, zum Beispiel durch dynamische Moves, konsequentes Eindrehen des Hüftschwungs beim Weitergreifen. Das bringt unglaublich viel, manchmal einen ganzen Schwierigkeitsgrat bei gleich bleibendem Kraftniveau. Aber wie verbessert man seine Klettertechnik?

Am schnellsten geht es durch Bouldern. Wobei man wirklich experimentieren sollte, bis zum Runter fallen – ein gewisses Risiko vor allem für Sprunggelenke und Knie. Eine sichere Alternative ist das hartnäckige Probieren von extrem schwer oder auf den ersten Blick unmöglich erscheinenden Einzelstellen im Toprope. Ein schöner Nebeneffekt: Durch solche Versuche steigert man auch seine Kraft. Wer nur Routen spult, stagniert irgend- wann – bei Kraft wie Kreativität.

Aufs Unbequeme einlassen
Die meisten Frauen bevorzugen nicht allzu überhängende Wände mit kleinen Griffen und Tritten ohne weite Züge.
Sie klettern also, was sie sowieso gut können. Das macht Spaß, und um einen neuen Schwierigkeitsgrad zu projektieren ist es durch- aus sinnvoll. Aber wer wirklich umfassend besser werden will, tut sich damit keinen Gefallen. Im „unbequemen“ Gelände lernt man mehr. Dabei sollte man den Schwierigkeitsgrad etwa im Onsight-Niveau ansetzen und nur gut gesicherte Routen wählen (oder topropen), sonst behindert die Angst die Kreativität bei neuen oder ungewohnten Bewegungen.
Allerdings nutzt auch perfekte Klettertechnik nichts, wenn man sich einfach nicht festhalten kann oder zu schwach ist, um zu blockieren und weiterzugreifen. Am schnellsten kommt man dann mit gezieltem Krafttraining weiter.

Die Trainings-Anfängerin durchstöbert erst mal die einschlägigen Bücher. Und merkt bald, dass die meisten Autoren dabei anscheinend in erster Linie an junge
Männer gedacht haben. Klimmzüge scheinen normal zu sein, mehrere Serien werden empfohlen, „Anfänger“ dürfen dabei mithilfe eines Gymnastikbands oder Stuhls entlasten. Da kommt sich so manche Frau, die im achten Grad klettert, ganz schön schwach vor – weil sie keinen einzigen Klimmzug schafft. Und wenn sie dann mit Entlastung versucht, drei Serien mit zehn Klimmzügen hintereinander zu machen, kann das leicht zur Überlastung führen.

Trainieren – aber richtig
Ob Klimmzüge für die Performance an der Wand viel bringen, ist sowieso fraglich. Deshalb geben der Kasten und die Fotos einige Empfehlungen zum Krafttraining für die Durchschnittskletterin und Beispiele für dazu passende Übungen. Um die ideale Ausführung zu lernen, ist ein Kurs oder ein Coaching empfehlenswert.
Wer parallel zu intensivem Krafttraining versucht, schwer zu klettern, merkt bald, dass das nicht funktioniert – der Körper hat seine Grenzen, und wer nicht auf ihn hört, riskiert Überlastungsschäden, die als monatelange Bremse beim Klettern und Trainieren wirken können. Daher sollte man im Lauf des Jahres Schwerpunkte setzen. Zum Beispiel, indem man im Winter vorwiegend Blockier- und Fingerkraft aufbaut und dann im Frühjahr die Klettertechnik durch das Probieren schwerer Einzelstellen verbessert. Dagegen sind Prophylaxe-Übungen zur Stabilisierung der Schultern das ganze Jahr über ein Muss.
Wer regelmäßig, gezielt und vernünftig trainiert, wird mit Sicherheit stärker und besser beim Klettern. Und das macht Freude! Doch der Körper ist nur ein Faktor – laut Wolfgang Güllich ist das Hirn der wichtigste Muskel beim Klettern, und vielen Frauen stellt tatsächlich der Kopf in der Wand ein Bein. Daher wird es in DAV Panorama 2/19 darum gehen, wie Frauen gegen ihre Ängste und andere mentale Hindernisse angehen können.

Verletzungen vorbeugen
Das Band so wählen, dass man die Bewegung etwa 12-20-mal ausführen kann und dabei nur gegen Ende ein bisschen angestrengt
ist (Theraband weiß oder gelb). Wichtig: Schulterblatt tief halten, Ellbogen nahe am Körper, ganz langsam und gleichmäßig bewegen – auch nach innen. Handgelenke gerade, Finger gestreckt. 3 Serien mit jeweils 1 Min. Pause. Mindestens 2-mal pro Woche.

Körperspannung
Wichtig: Füße auf einen Gymnastikball und den Rücken dabei gerade halten! 10-12-mal mit 2 Min. Pause,
2-3 Serien, 2-3-mal pro Woche. Erschwernis: nur mit einem Bein auf dem Ball, das andere
angewinkelt. Empfindliche Handgelenke evtl. durch Parallettes (Liegestützgriffe) entlasten.

Blockierkraft
Große Griffe (bequem für alle Finger), nicht allzu kleine Tritte. Die Wand so wählen (senkrecht bis überhängend), dass man die Übung etwa 10-mal schafft.
Wichtig: Schulterblatt tief halten.
2-3 Serien mit 2 Min. Pause, 2-3-mal pro Woche. Findet man nicht die genau passende Wandstelle, kann man die Übung erleichtern, indem man mit der anderen Hand oder den Fingern etwas mitzieht.

Fingerkraft
Die Griffe (und Tritte) so wählen, dass man sich maximal etwa 15 Sekunden festhalten kann. Abwechselnd ca. 12 Sek. halten, 50 Sek. Pause, 3-mal hintereinander.
Mit jeweils 90 Sek. Pause zwei weitere Serien, das ganze 2-mal pro Woche.

Die Bergkrimi-Autorin Irmgard Braun (irmgard-braun.de) kletterte Leadweltcups mit und hatte 2018 mit ihrem Projekt „Grad IX mit 66“ gleich zweimal Erfolg. Natürlich gelten ihre Ratschläge auch für Männer …

 

Foto: Christian Pflanzelt