Der Mammut Pro Team Athlet Marek Holeček und sein Kletterpartner Radoslav Groh haben es geschafft! Den beiden tschechischen Bergsteigern ist die Erstbegehung einer neuen Route gelungen, mitten durch die Ostseite des Huandoy Norte (6’360 m). Marek und Radoslav haben die 1’200 Meter lange Route durch das peruanische Gebirge «BOYS 1970» getauft. Erfahre hier alles über dieses beeindruckende Abenteuer – aus erster Hand von Marek: Vorbereitungen August 2019. Ich hätte Zuhause bleiben und den heißen Sommer zum Klettern nutzen können, aber der Ruf des Winters auf der anderen Erdhalbkugel war stärker. Manchmal frage ich mich: Warum tue ich das eigentlich? Was treibt mich hier hoch? Bin ich verrückt? Habe ich bereits vergessen, was ich schon alles erlebt habe? Aber vielleicht ist es auch einfach eine überwältigende Leidenschaft und die Bereitschaft, alles zu opfern, was es braucht, um weiter und höher zu kommen. Diese Opfer erbringe ich gerne für unbezahlbare Erfahrungen, die häufig lebensverändernd sind, und manchmal sogar eine Inspirationsquelle für andere werden. In meinem Kopf schwirren noch zahlreiche Bilder der letzten Tage herum. Landung in Lima, Aufsaugen der örtlichen Atmosphäre, Bestaunen der Schönheit der Natur und Kennenlernen freundlicher Einheimischer. Anschließend haben wir uns auf einigen der umliegenden Gipfel an die Umgebung gewöhnt und uns Zeit genommen, um uns für den eigentlichen Aufstieg zu motivieren. Ursprünglich hatten wir die Wahl aus verschiedenen Routen, wobei wir jedoch aufgrund der aktuellen Bedingungen letztendlich die Ostseite des Huandoy Norte gewählt haben. Dabei handelt es sich um eine Freikletter-Route, die sich mitten durch die Gebirgswand zieht, angefangen beim Gletscher bis hin zum Gipfel. Eine wunderschöne, natürliche Route, der wir einfach nicht widerstehen konnten. Die letzten Tage vor dem Aufstieg habe ich den täglichen Rhythmus der Berge beobachtet und mich auf die für unsere Route wesentlichen Teile konzentriert. Jetzt fühle ich mich gut vorbereitet. Ich finde heraus, dass es in manchen Abschnitten regelmäßig zu rasanten Eis- und Felsschauern kommt. Die müssen wir natürlich vermeiden, wenn wir es bis nach ganz oben schaffen wollen. „Warum tue ich das eigentlich? Was treibt mich hier hoch? Bin ich verrückt?“ Der erste Tag Mit der Dämmerung geht es mit dem Klettern los. Ich fühle mich noch ein wenig steif, aber dank des steilen Aufstiegs wird es mir schnell wärmer. Die Wand wird immer vertikaler und die Schneefelder werden immer steiler. Aus dem Firnschnee wird Eis, gemischt mit großen Felsstufen. Nach zwei Stunden Simultan-Klettern halten wir an einer 150 m hohen Felsbarriere. Ich sichere Radek und wir machen uns startklar für unsere erste große Herausforderung. Diese Felswand ist die obligatorische Eintrittskarte für die nächsten tausend Meter. Es gibt keinen Ausweg. Entweder schaffen wir es und können weiterklettern oder wir müssen wieder zurück in das Tal. Dabei ist noch nicht mal das Klettern selbst das zentrale Problem. Der gesamte Ort sieht aus wie ein riesiger Felsenregen. Ich probiere so schnell zu klettern wie möglich, um nicht von einem Felsen getroffen zu werden. Die nächste Herausforderung besteht in einer langen Durchquerung eines zweiten Eisfelds, das oben links zudem Mixedklettern erforderlich macht. Der Mixed-Teil sieht aus wie der Buchstabe «S» und beginnt mit einem kniffeligen Felsabschnitt, gefolgt von einer schmalen Ecke. Von unserem Standpunkt aus können wir sehen, dass die Ecke für unseren Versuch mehr als gut ausgestattet ist, mit großen losen Eisspalten, die aussehen wie majestätische Orgelpfeifen. Nach diesem Abschnitt befinde ich mich im oberen Drittel des gesamten Aufstiegs, der beeindruckend steil ist und mir wird schon jetzt klar, dass wir es vor Einbruch der Dunkelheit nicht auf den Grat schaffen werden. Wir müssen hier biwakieren. Es gelingt uns, zwei stuhlgroße Bänder zu finden, die sich zwei Meter voneinander entfernt befinden. Welch Luxus! Bevor wir einschlafen, genießen wir das Lichtspektakel der untergehenden Sonne. Eine Mischung aus endlosem Blutrot und Purpur, was ich bisher noch nie gesehen habe. Normalerweise versinkt die Sonne in den Bergen einfach hinter dem Horizont und es ist plötzlich dunkel. Nicht hier. Noch viele Minuten nachdem die brennende Sonne untergegangen ist, glüht der Berg. Dieses einzigartige Schauspiel sieht man nur in der Cordillera Blanca, die sich in der Näher des Ufers des Pazifischen Ozeans befindet. Der zweite Tag Endlich dämmert es. Noch 300 Höhenmeter trennen uns vom Gebirgskamm. Jetzt lässt es sich einfacher klettern. Es gibt nur einen Mixedkletterabschnitt und dann eigentlich nur noch einen sehr steilen Firnabschnitt, abwechselnd mit Eispassagen. Wir klettern los. Alles läuft überraschend gut und wir kommen schnell voran. Drei Stunden später befinden wir uns im letzten Schneeabschnitt, der aussieht wie ein drapierter Rock aus dem Tal. Unter uns können wir die Wand in ihrer gesamten Schönheit sehen, einschließlich der umliegenden Berge mit ihren Gipfeln, die aussehen als ob sie in Kuchenglasur und Zuckerwatte gehüllt wären. Zwanzig Minuten später, kurz vor zwölf Uhr, stehen wir mit strahlenden Gesichtern oben auf dem Huandoy. Wir haben es geschafft! Dann folgen sechs Stunden Abstieg und endloses Abseilen. 55 Stunden später sind wir wieder im Refugio Peru und begrüssen unsere Freunde. Der Name «BOYS 1970» Die neue Route ist vor allem einer Gruppe tschechischer Kletterer gewidmet, die bei einem Erdbeben in einer riesigen Lawine am Fusse des Huascaran 1970 ihr Leben lassen mussten. Ihr Traum und ihr Leben waren zerstört, bevor man überhaupt erkannte, was passiert war. Einige Minuten später gab es weitere 70’000 Tote im Tal. Dieser Unfall ruft uns in Erinnerung, wie angreifbar das Leben ist.

Bildmaterial: © Mammut