Teilweise schon über 50 Jahre alt, aber in den meisten Fällen noch topaktuell. Die folgenden Thesen sollte sich jeder Kletterer gerade auch bei den den immer voller werdenden Felsen zu Herzen nehmen. Zusammengestellt von Uli Schmidt.

Zitat aus Wikipedia:
Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge (* 16. Oktober 1752 in Bredenbeck bei Hannover; † 6. Mai 1796 in Bremen) war ein deutscher Schriftsteller und Aufklärer.
Bekannt wurde er vor allem durch seine Schrift „Über den Umgang mit Menschen“. Sein Name steht heute stellvertretend, aber irrtümlich für Benimmratgeber, die mit Knigges eher soziologisch ausgerichtetem Werk nichts gemein haben.

Unser Kletter-Knigge soll daher der Benimmratgeber für alle sein, die gewillt sind, sich im Umgang mit Kletterern (auch das sind Menschen) und der Natur nachhaltig und umweltschonend zu verhalten, und das über den vorgegebenen Rahmen der geschriebenen sächsischen Kletterregeln hinaus. (Ein kurzer Einwurf: Die geschriebenen Regeln http://www.bergsteigerbund.de/klettern_saechsische_kletterregeln.html werden natürlich mit der Zeit, mit den gesellschaftlichen und materiellen Veränderungen einem Wandel unterzogen. So ist das auch mit den hier angesprochenen allgemeinen Umgangsformen beim Klettern. So sind die entsprechenden Vorworte im 23er Fehrmann und in den Kletterführern der 1950er Jahre in einer etwas anderen Ausdrucksweise als der heutigen verfasst – der Sinn und die Bedeutung treffen ziemlich genau so zu! Und all das gilt nicht als Alleinstellungsmerkmal für das sächsische Klettern, wie Peter Brunnert sehr nett unter http://www.teufelsturm.de/content/kletterknigge/Peter_Brunnert_09_was_nervt.pdf schreibt.)

Als Ausgangspunkt nehmen wir das 1961 erschienene Buch „Der sächsische Bergsteiger„.
In diesem stehen unter der Überschrift „Und noch ein paar Gebote“ unter anderem Hinweise, Regeln und Umgangsformen für einander, die heute genauso wie damals für den sächsischen Bergsteiger gelten sollten. Es sind die „ungeschriebenen“ Regeln, denen man inhaltlich folgen sollte.

Diese Gebote (kursiv aus „Der sächsische Bergsteiger“ zitiert) sind hier mal als „Kletter-Knigge“ für diejenigen aufgeführt, die im Gebirge und im Umgang miteinander als faire Bergkameraden auftreten möchten, sich aber nicht sicher sind, was das nun immer ausmacht. Und sie sind um ein paar – hoffentlich nützliche – Hinweise ergänzt.

Rufe als Anfänger nicht ständig „Achtung, „Halten!“ oder „Aufpassen“. Dein Sicherungsmann spielt sowieso inzwischen nicht Skat.

Das gilt natürlich auch andersherum: Als Sicherungsmann (oder -frau) habe ich den Gesicherten im Auge oder (so er nicht sichtbar ist) auf Fühlung, das ist wichtiger als ein Flirt, als Appetit, als ein Blick ins Gipfelbuch. Ein unaufmerksam Sichernder lässt dem Kletterer in Vor- und Nachstieg die Moral und Kletterfreude merklich sinken.

In den Bergen bist du kein Minister, kein Werkdirektor, und deine dicke Brieftasche interessiert überhaupt nicht. Du musst ein ganzer Kerl sein, sonst wirst Du wieder nach hause geschickt.
Du darfst ehrgeizig sein und  – wenn Du die Eignung dazu hast – nach der Durchsteigung der extremsten Wege streben, aber du darfst niemals damit angeben.
Auf die heutige Zeit übertragen: Unerträgliche Selbstdarsteller, die unüberhörbar für jeden in der Nähe befindlichen lauthals verkünden, dass da ganz tolle Fotos von ihnen an der Seifenblase gemacht wurden, sollten geflissentlich ignoriert werden.

Arg zerrissene Kletterhosen zeugen nicht unbedingt von schweren Bergfahrten, sondern oftmals nur von Liederlichkeit.
Das gilt natürlich auch andersherum: Wer in Klettersachen erscheint, an denen noch das Preisschild hängt, wird ebenfalls kaum ernstgenommen. Klettern ist keine Outdoor-Werbeverkaufsveranstaltung. Wenn man zum Bus, zum Zug oder vom Auto zum Gipfel geht, gehört Seil und Gurt in den Rucksack. Auch außen baumelnde Kletterschuhe und ähnliche Utensilien deuten weniger auf den Kletterer als mehr auf den Selbstdarsteller hin.

Verrichte deine Notdurft nicht so, dass andere unbedingt hineintreten müssen.
Es sind in den seltensten Fällen unbedarfte Wanderer, die Kletterzustiege mit dem Trampelpfad zum WC verwechseln, vielmehr (Auch-)Kletterer, die sich keine 3 m vom Einstieg hinhocken, anstatt außerhalb von Sicht- und Riechweite. Mit ganz einfachem Scharren mit den Füßen kann man verhindern, dass Papier dekorativ durch den Wald flattert, Einlagen und Windeln haben im Wald nichts zu suchen. Seinen Müll und die Flaschen, die man voll den Berg hinaufgetragen hat, sollte man auch leer wieder mit zurücknehmen können.

Rede fremden Seilschaften beim Klettern nicht dauernd hinein. Andere verstehen auch etwas davon, und am Felsen sieht es meist etwas anders aus als von unten.
Wenn die Seilschaft natürlich einen unsicheren Eindruck macht und man selbst den Weg (und vielleicht dessen Gefahr) kennt, dann ist eine einfache Frage schon angebracht. Ein richtiger Kletterer wird die Frage, ob man wisse, worauf man sich einlässt, richtig verstehen und antworten. Eine höflich gestellte Frage nicht zu beantworten zeugt von schlechtem Gewissen und Unsicherheit.
Grundsätzlich gehört es sich nicht, unaufgefordert Lösungen zu Schlüsselstellen oder Schlingen zu verkünden und damit darzustellen, dass man den Weg schon geklettert hat. Für viele ist das eigenständige Lösen eines Problems wichtiger als ein schneller, erleichterter „Erfolg“.

Falls du einmal an einer zugesagten Bergfahrt nicht teilnehmen kannst, so benachrichtige deine Kameraden rechtzeitig, sie würden dich sonst das nächste Mal „sehr freudig“ begrüßen.
Es ist selbst unter rauhen Berggesellen üblich, sich für einen begangenen Fehler höflich zu entschuldigen.
Das Einhalten von Verabredungen, Pünktlichkeit und Anstand im Umgang miteinander lassen darauf schließen, dass man sich auf seinen Kameraden verlassen kann, dass er mit einem auch in schweren Situationen durch „dick und dünn“ gehen wird. Im Umkehrschluss: wer zu einer Verabredung am Fels unentschuldigt nicht erscheint ist auch kein Partner für ernste Situationen. Die (Tele)Kommunikation ist heute um vieles einfacher als vor 50 Jahren!

Grüßen am Fels: Man sollte, wenn man am Kletterziel angekommt, alle Anwesenden freundlich grüßen.

Gipfelgruß (spezifisch sächsisch): Beim Erreichen des Gipfels wird dem Vorsteiger die Hand gereicht und mit „Berg Heil!“ oder „Berg Frei!“ gegrüßt, anschließend allen weiteren auf dem Gipfel befindlichen Kletterern. Das kann schon mal (z.B. auf dem Falkenstein) aufwändig sein, ist aber eine Frage des Anstands. Natürlich gibt es dazu auch Ausnahmen; wenn der Vorsteiger bei einer Mammutseilschaft vielleicht schon im Abstieg ist. Dann grüßt man als erstes seinen Sicherungsmann (oder -frau).

Gipfelbuch (spezifisch sächsisch, lässt sich aber auch problemlos auf andere Klettergebiete mit Gipfelbüchern übertragen): Zum Gipfelbucheintrag gibt es den Punkt 2.11 der Regeln, die natürlich vollinhaltlich gelten; hier nur ganz kleine Ergänzungen.

Die „Ehre“, das Gipfelbuch als erster zu öffnen und durchzusehen, gebührt dem Vorsteiger. (Was natürlich nicht ausschließt, dass, wenn der noch sichert, ein Nachsteiger nach Frage „Ich gucke schon mal rein?“ das schon durchblättert.)
Es schreibt sich (grundsätzlich!) jeder selbst ein. (Was natürlich nicht ausschließt, dass Umstände es zulassen, dass ein anderer für einen einträgt)

„Reine“ Seilschaften von einem Verein/Club tragen sich auch mit Vereinsnamen/Clubnamen ein.
Die Reihenfolge der Eintragenden richtet sich nach der Reihenfolge des Erreichens des Gipfels (das bezieht sich auf die Reihenfolge nach Überwinden der Schwierigkeit, das „Über den Gipfel wandern“ ist da nicht wichtig).
Kleine Piktogramme sind nur als Vereins- oder Clubsymbol zulässig, nicht als „Marke“ eines Kletterers.
Sticker von Clubs oder für besondere Vorhaben (z.B. Klettergebietstour) sind ein Grenzfall, den man nach Möglichkeit nicht beanspruchen sollte. Auf gar keinen Fall aber sind diese Sticker aus dem Gipfelbuch wieder herauszureißen!
Schmierereien wie „Idiot“ haben im Gipfelbuch nichts zu suchen, so etwas können nur schwache Charakterlumpen tun.
Übrigens eignen sich die Sohlen der Kletterschuhe hervorragend als Radiergummi, wenn sie nicht gerade auf quietschendem Moos gestanden haben.

Anfahrten: Nutze möglichst die eigene Muskelkraft und so wenig wie möglich den motorisierten Individualverkehr.

Verhalten am Fels: Verhalte dich am Fels genauso wie du es von anderen in deinem „Garten“ erwarten würdest. Verhalte dich möglichst ruhig und hinterlasse möglichst keine Spuren am und unterm Fels.

Wege/Routen besetzen: Wer als erster sein Seil an den Einstieg legt, hat damit das Anrecht auf diesen Weg. Es ist aber grob unhöflich, das zu tun, wenn sichtbar ist, dass sich eine Seilschaft für diesen Weg bereits vorbereitet. Eine kurze Frage „Was wollt Ihr machen?“ und eine kurze Antwort „den …weg“ klärt (fast) alles auf.
Überhaupt – Kommunikation und Rücksichtnahme sollten selbstverständlich sein, wenn es um das Überholen einer Seilschaft geht, um das Nachholen an einem gemeinsamen Sicherungspunkt, um das Abgeben und Übernehmen einer Sicherung. Wenn bereits eine Seilschaft schon einen (langen) Weg klettert und man glaubt schon einsteigen zu können (oder zu müssen), dann tritt man dem letzten Nachsteiger nicht auf die Hacken, sondern hält gehörigen Abstand (mindestens 3 Meter). Am Ring ist man dann immer der Spätgekommene und hat sich um größte Rücksichtnahme gegenüber der ersten Seilschaft zu bemühen!
Es ist hochgradig unfair, einen Weg mit eingehängtem Toprope-Seil zu besetzen, ohne dass jemand klettert. Gerade bei größeren Gruppen kann man das nicht koordinieren; daher sollte es sich gehören, Seile bei Nichtbenutzung sofort abzuziehen, auch wenn jemand da noch klettern will, der aber sich gerade in einem anderen Weg müht. (Natürlich kommt das auf die konkrete Situation an: Ist man in menschenleerer Gegend, dann kann das Seil bis zum Schluss hängenbleiben, oder stehen schon andere Seilschaften hinter einem…)

Erstbegehungen: Es ist unfair, in eine Linie, die durch einen Projektring gekennzeichnet ist, von der Seite einzusteigen, egal ob das Projekt „ordnungsgemäß“ gemeldet ist oder nicht. Eine Linie ist geistiges Eigentum des Erstversuchers und tabu, bis 3 Jahre abgelaufen sind. Es ist auch unfein, unmittelbar nach Ablauf dieser 3 Jahre, ohne den Versuch einer Verständigung mit dem bisherigen Versucher, das Projekt zu beenden. Ein anständiger Erstbegeher fragt den bisherigen Projektinhaber an und lädt ihn zu seinem Versuch oder seiner Lösung ein.

Hunde als Freund des Menschen – das sieht nicht jeder so. Hundebesitzer und und diejenigen, die den Umgang mit Hunden gewöhnt sind werden kaum etwas dabei finden, wenn Kletterer ihren Hund mitführen und in der Natur auch frei laufen lassen (von der Zulässigkeit im Nationalpark mal abgesehen). Wer aber  – begründet oder unbegründet – Angst vor Hunden hat, für den ist eine Begegnung mit einem unangeleinten Hund, vielleicht gar noch auf engem Bergpfad außer Sichtweite von Herrchen, eine Horrorvorstellung, bei der Panikreaktionen nicht auszuschließen sind! Wird der Hund zur Bewachung des Lagerplatzes angeleint, dann diesen bitte so legen, dass weder Kletterzustieg noch Abseile in seinem Bereich liegen. Und zu den unvermeidlichen „Hinterlassenschaften“ gilt das gleiche wie in den obigen Geboten: Es ist vielleicht nicht notwendig, sie aufzusammeln; auf dem Bergpfad haben sie nicht zu suchen, die drei Schritte ins Abseits müssen möglich sein!

Kinder am Fels sind eine komplizierte Sache. Richtig angeleitet und ernst genommen wird man erleben, dass Kinder diszipliniert, nicht zickig, nicht zeternd und bereit sind, Unangenehmes in Kauf zu nehmen. Werden sie jedoch nur als notwendiges Übel mitgenommen, dann ist Geschrei und Gefahr vorprogrammiert. Kleine Kinder, alleingelassen, sind nicht berechenbar. Angebunden können sie sich erdrosseln, im Rucksack findet sich eine Plastetüte für den Kopf – alles schon erlebt und knapp Schlimmeres verhindert!

Foto: (c) Peter, Richard sen, 1963, Deutsche Fotothek (Inventarnummer df_ps_0001726)