Nun ist es amtlich, das Sächsisches Bergsteigen ist jetzt immaterielles Kulturerbe. So steht auf Unesco-Seite: Das Bergsteigen in Sachsen bezeichnet eine Praxis, die, den regionalen geologischen Bedingungen des Sandsteins entsprechend, spezifische Techniken und Regeln des Kletterns erfordert sowie Wissen um die naturräumlichen und biologischen Gegebenheiten voraussetzt und vermittelt.

Im Vordergrund des Bergsteigens in Sachsen steht das Klettern an freistehenden Felsen in Seilschaften, also im Gruppenverbund mit gegenseitiger Sicherung: Es wird gemeinsam ein Gipfel bestiegen und nacheinander abgeseilt. Wesentlicher Bestandteil der Kulturform ist der Aufenthalt auf dem Gipfel, der unter anderem die Dokumentation der Besteigung in einem Gipfelbuch beinhaltet. Die Gipfelbucheintragungen erfolgen nach den Vorgaben der Kletterregeln sachlich und knapp und reichen oft Jahrzehnte zurück. Sie sind ein verbindendes Element und Zeitdokument der Kulturform und erinnern beim Zurückblättern an Freunde und Bekannte, gemeinsame Erlebnisse und frühere Besteigungen.

Zum Bergsteigen in Sachsen gehören auch die Berghütten und „Boofen“, Freiübernachtungsstellen, die traditionell von Kletternden genutzt werden. Beim „Boofen“ geht es um ein ganzheitliches Erlebnis, das ein soziales Miteinander im Rahmen eines respektvollen und zurückhaltenden Umgangs mit der Natur ermöglicht. Gemeinschaftsstiftend ist außerdem der Austausch der Erlebnisse untereinander, sei es bei gemeinsamen Hüttenabenden mit Gesprächen und Gesang, bei informellen Bildervorträgen oder in sozialen Medien.

Um den Sinn und Unsinn dieses Titels wird kontrovers diskutiert. Zumindest einige Aspekte der Titelbegründung aus unserer Sicht eher unspezifisch. Liest man die Begründung geht es auch weniger um das Klettern, sondern um das kulturelle „Drumrum“. So wird auf die Gipfelbucheintragungen und das „Boofen“ verwiesen. Beides sicherlich kein Alleinstellungsmerkmal.

Der Freistaat Sachsen hatte das „Bergsteigen in Sachsen“ 2023 im Rahmen der fünften Bewerbungsrunde für das bundesweite Verzeichnis nominiert und zugleich in die sächsische Landesliste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Die Bewerbung hatte der Sächsische Bergsteigerbund (SBB) erarbeitet und eingereicht.

„Eines unserer wichtigsten Anliegen ist es, die Ausübung des traditionellen Sportes auch in Zukunft in der bisherigen Art zu ermöglichen und die sächsische Bergsteigerkultur weiter zu pflegen“, sagt Anne Lochschmidt, die die Arbeitsgruppe für die Bewerbung beim SBB geleitet hat.

Liest man die die zugehörige Seite „SÄCHSISCHES BERGSTEIGEN – EIN IMMATERIELLES KULTURERBE“ dazu, ist es mehr ein von der Realität überholtes Wunschdenken: „Die Kultur wird von einer Personengruppe getragen, die in Alter, sozioökonomischen Verhältnissen und Weltanschauung sehr heterogen ist. Alle eint die Überzeugung, dass die Sächsischen Kletterregeln vernünftig und Grundlage des sportlichen Handelns sind. Selbstbeschränkung und Eigenverantwortung nehmen einen hohen Stellenwert ein. Einen Kletterweg (noch) nicht zu klettern und bis zur Durchsteigung mit Geduld und Demut einen weiteren persönlichen Reifungsprozess zu durchlaufen, hat beim Sächsischen Bergsteigen einen besonderen Wert.“

In Sachsen wird seit 1864 geklettert. Erst auch mit künstlichen Hilfsmittel, später nach der Definition durch Rudolf Fehrmann nach dem Grundsatz des „freien Kletterns“, also ohne Verwendung künstlicher Hilfsmittel. Damals wie auch heute ist die Basis die sächsischen Kletterregeln, die neben den Kletter- und Sicherungstechniken auch den Schutz und Erhalt der Felsbiotope festschreiben.

Das die Sächsische Schweiz, die „Wiege des Freikletterns“ ist, dürfte hinreichend widerlegt sein (Siehe auch den Artikel von Nico Mailänder im DAV-Panorama). So wurde in anderen Klettergebieten zum Beispiel im einigen britischen und tschechischen Klettergebieten wurde konsequent frei geklettert. Aber auch in den hohen Wänden der Alpen wurde unter sparsamer Verwendung von Sicherungsmitteln frei- und zumindest gleich schwer geklettert.

Konsequent frei geklettert wurde in Sachsen aber sowieso nicht, fast alle der schweren Gipfel in der Sächsischen Schweiz wurden erst mit „Bauen“, sprich einen menschlichen Steigbaum (z.B. Teufelsturm, Hauptdrilling, Bärfangkegel) bezwungen und erst viel später frei geklettert.

Auch spätestens seit Beginn der 1970er Jahre wurde die Sächsische Schweiz auch von der reinen Kletterschwierigkeit her abgehängt.

Foto: (c) Helmut Schulze