Daniel Benz und Marcel Dettling gelang am Fläscherberg (Regitzer Spitz) im Rheintal im Schweizer Kanton Graubünden die neue Mehrseillängenroute „Vaterland“ (8b, 7 SL).

Die Föhnmauer am Fläscherberg ist in der kalten Jahreszeit zweifellos das beste MSL-Gebiet der Ostschweiz. Praktisch vom Talboden weg startet man hier in sehr sonniger und schneearmer Lage in die steile Wand. Die Routen um den Klassiker z’Entli im rechten Sektor sind beliebt, ebenso die Megusta, welche etwas weiter links die dort höhere Wand durchsteigt. Auch dazwischen existierten einige Routen und Projekte, die vorwiegend im Verdon-Prinzip anzugehen waren und deswegen ein stiefmütterliches Dasein fristeten. In den Jahren 2019/2020 hat nun Daniel Benz diesem Mittelsektor ein Facelifting verpasst, sprich die Routen nach unten zu richtigen MSL-Wanddurchstiegen erweitert, wo nötig saniert und vor allem Rotpunkt geklettert. Bei der bisher schwierigsten Route, dem Vaterland (6 SL, 8b) konnte ich bei der Erstbegehung mit von der Partie sein.

Die Föhnmauer mit dem Verlauf von Vaterland (8b), wobei die ersten 1.5 SL hinter den Bäumen versteckt sind. Die beiden vorletzten Seillängen (8a, 8b) waren ein altes Projekt von Ralf Wohlwend, welches im Verdon-Prinzip angegangen werden musste, noch nicht gepunktet war und kaum je begangen wurde. Der Zustieg dahin nimmt den bestmöglichen, klettertechnisch lohnendsten Weg. Die braune Felspartie unterhalb der Querung ist stark überhängend und sehr brüchig, daher kaum bekletterbar.

Mitte Dezember, an einem der kürzesten Tage im Jahr, machten wir uns auf den Weg zur Mission Rotpunkt. Nach einem kurzen, 15-minütigen Anmarsch mit nur ganz wenig Höhendifferenz standen wir unter der Föhnmauer. Wie erwartet waren die Bedingungen perfekt: die Schneefälle von Anfang Dezember 2020 waren bereits wieder Geschichte, die Wand war einwandfrei trocken, viel Sonnenschein und angenehme Temperaturen begleiteten unser Unternehmen. Ab ca. 9.45 Uhr steht die Föhnmauer auch im tiefsten Dezember in der Sonne, diese bleibt dann bis sie um ca. 15.00 Uhr am Pizol unter den Horizont sinkt. Um 11.15 Uhr hatten wir den Haulbag gepackt, unsere Aufwärmübungen absolviert und stiegen mental parat in die Route ein. Mein Seilpartner aspirierte auf einen Komplett-RP-Durchstieg aller Seillängen, weshalb für mich über die gesamte Tour das hintere Ende des Seils reserviert war.

L1, 35m, 6c: Diese Einstiegslänge mit dem Namen Snack gehört nicht eigentlich zur Route, bietet sich aber für jene an, die wirklich am tiefstmöglichen Punkt starten möchten. Sie lässt sich vermeiden, durch Einqueren über ein breites, seilfrei begehbares Band erreicht man den Start in die nächste Länge mühelos. Zum Apéro gibt’s hier eine etwas plattig-schlabbrig-glatte Wand, die aber trotzdem spannende und auch recht knifflige Moves bietet. Später steilt es dann auf und man bedient sich an Querschlitzen und -fugen. Es sei erwähnt, dass die Absicherung hier auf der etwas spärlichen Seite ausgefallen ist, teils müssen die Haken bei anhaltenden Schwierigkeiten doch einige Meter überstiegen werden. Doch wer dem Rest der Route gewachsen ist, wird das natürlich keine Probleme bereiten. Ebenso bemerkenswert: im Winter liegt diese Länge im Schatten der Bäume, während man durch Einqueren aufs Band direkt an der Sonne starten kann.

Da kommt man schon auf Betriebstemperatur (L2, 7a).

L2, 30m, 7a: Steile und bereits gehörig pumpige Seillänge in nicht immer perfektem Fels, der aber gut ausgeputzt wurde. Ebenso ist die Absicherung hier angenehm eng gehalten, so dass man bedenkenlos angreifen kann. Der etwas klötzlige und schiefrig-glatte, diagonal geschichtete Fels macht die Sache aber nicht einfach. Zum Ende erreicht man ein vages Band, wo man ganz nach links hinaus zum Stand traversiert. Man beachte das Topo und verkoffere sich hier nicht in Zustiegsvariante aufs Zentralband hinauf.

Auf der grossen Traverse in L3 (7b). Wie bereits beschrieben ist der Routenverlauf vor Ort absolut logisch. Unterhalb vom sichtbaren Dach im unteren Bildviertel ist das Gestein blätterteigig, oberhalb davon gibt’s aber besten, scharfen Leistenfels. Die Position zudem superluftig, geniale Sache!

L3, 40m, 7b: Eine sehr lohnende und originelle Seillänge in nun prima Fels, die einen langen Quergang und am Ende sogar ein Abkletterstück beinhaltet. Schon die ersten Meter aus dem Stand raus sind fordernd und bedingen Power und Entschlossenheit. Danach geht’s vorerst etwas besser dahin bis zum Punkt, wo sich die Hakenreihen verzweigen (gerade hinauf Freude herrscht, man halte sich nach links in die Benchmarc-Traverse). An ergonomischen Leisten hangelt man sich nun nach links entlang einer Fuge – powerige Sache, regelmässiges Fingerboarden hilft hier ganz sicher. Nach und nach fehlen dann auch die Tritte, so dass man beinahe in Campus-Manier zu moven hat. Ein weiterer kniffliger Abschnitt folgt nach dem Abzweig der Benchmarc, wo man einige kleine Griffe zu bedienen hat und schliesslich um eine Ecke verschwindet. Hier führt die Route aufs Band hinunter – Abklettern im Grad 7a, sowas kriegt man nur selten geboten, echt cool! Diese Seillänge ist gut abgesichert und auch vom Seilzweiten trotz aller Spezialeinlagen ohne Nervenflattern zu begehen. Nichtsdestotrotz sollte der Schwierigkeitsgrad an beiden Seilenden beherrscht werden. Hinweis: vom Stand 3 ist ein Rückzug schwierig, das Gelände unterhalb bricht stark überhängend ab, man erreicht den Fels nicht mehr und bis zum Grund sind es 65-70m Distanz. L4 ist aber gut eingebohrt und wenig zwingend, die schafft man schon, wenn man bis dahin gekommen ist.


Es gilt noch, über die 2 Dächli aufs Band abzuklettern, was jedoch zum Glück nicht die Crux dieser Länge darstellt. Eine ungewohnte Herausforderung ist es aber allemal (ca. 7a).

L4, 20m, 7c: In ähnlichem Stil wie zuvor geht’s weiter, athletische Power-Moves an Leisten in prima Fels. Auf dem Band wenige Meter nach links, wo es dann gleich am ersten Überhang schon zur Sache geht. Ist das geschafft, heisst es erneut kräftig-pumpig an den Leisten in einer Fuge nach links zu traversieren, um schliesslich mit weiten Zügen dynamisch den folgenden Wulst zu steigen, wo dann oberhalb zum Glück ein paar bessere Griffe auftauchen. Damit ist die Sache fast gegessen… die Moves in den Stand hinein sind aber nochmals unübersichtlich und erfordern die Bedienung von diversen Griffen, denen man nicht unbedingt das Prädikat „gut“ anheften kann.

Anhaltend kraftvolle Züge an eigentlich meist guten Leisten in überhängendem Steilgelände in L4 (7c).

L5, 20m, 8a: Die Wand ändert nun erneut ihren Charakter, sie wird etwas weniger steil, dafür umso kompakter und griffärmer. Am deutlichsten wird dies vielleicht durch die Aussage, dass man diese vierte Länge gemessen am bisherigen Griffangebot a priori eher im Bereich 6c vermuten würde, was dann aber doch weit gefehlt ist. Die ersten Meter gehen zwar schon fordernd, aber noch gut machbar über die Bühne, nach einem herrlich wasserzerfressenen Rastpunkt-Henkel geht’s dann aber zur Sache. Bei minimalem Trittangebot heisst es, scharfe kleine Kratzer zu crimpen und die Füsse auf minimale Strukturen zu platzieren – ein wenig vergleichbar mit der Crux-Sequenz der Ben Hur an den Wendenstöcken. Zuletzt dann wieder einigermassen griffig zum Stand an der Rampe, welche hier die Wand durchzieht.

‚Crimping the shit out of nothing‘, dazu noch fast ohne Tritte. Der rechte Arm wird heftig gemolken in L5 (8a).

L6, 30m, 8b: Die ersten Meter sind gutmütig und erstaunlich griffig, vom zweiten zum dritten Haken zieht’s mit einer Linksschleife an und anplättend an Leisten geht’s in die erste Cruxsequenz über eine knapp strukturierte, senkrechte Wand. Mikroleisten zuballern und gleichzeitig die Füsse hoch stellen auf beinahe inexistente Tritte heisst das Programm. Nach einer kurzen Verschnaufpause folgt dann über das nächste Dächlein hinweg die Cruxsequenz. Die Hauptherausforderung besteht darin, einen kleinen Kratzer auf die rechte Schulter zu nehmen, die Füsse nahezu trittlos übers Dächlein zu bringen, Gegendruck zu erzeugen und sich nach rechts an eine halbwegs passable Leiste zu zaubern, um von dieser über ein paar kleine Löchlein endlich wieder etwas freundlicheres Gelände zu erreichen. Obwohl insgesamt kaum senkrecht, ist diese Passage sehr athletisch und erfordert gleichzeitig höchste Bewegungspräzision. Damit wären die Schwierigkeiten zwar erledigt, doch die Route gibt sich noch nicht ganz geschlagen und wartet noch mit einem Runout über eine psychisch fordernde Platte auf…

Als Nachsteiger hat man an dieser Stelle in L6 (8b) gut lachen, denn da ist die Sache eigentlich gelaufen, auch wenn die Abschlussplatte durchaus nicht ganz banal ist. Der Vorsteiger darf sich aber zusätzlich noch einem Runout gegenüberstellen, gewürzt noch mit der mentalen Belastung, sich hier die Begehung noch nehmen lassen zu müssen.

L7, 15m, 5a: Um den Ausstieg zu erreichen und um zu Fuss absteigen zu können, ist noch eine weitere, kurze Seillänge vonnöten. Erst noch schöner Fels, dass über einige mässig solide Blöcke hinweg und zuletzt etwas grasig zu Stand an Baum.

Ein paar Minuten vor 16.00 Uhr hatten wir es geschafft! Wie erhofft, war Daniel eine durchgehend sturzfreie RP-Begehung aller Seillängen im Vorstieg gelungen – bravo, eine herausragende Leistung, meine herzliche Gratulation und besten Dank, dass ich hier tollen Klettersport aus der besten Perspektive geniessen konnte. Mir persönlich lief es auch ganz ordentlich, konnte ich doch L1-L3 flashen und L4-L5 immerhin komplett freiklettern. Einzig in der Cruxsequenz war ich mit meinem Latein am Ende: an diesem Mikrogriff bringe ich meine langen Beine unmöglich über das Dächlein, tiefer stehen zu bleiben ist aber ebenso wenig möglich und eine tragfähige, alternative Lösung gab es auch nicht – wobei das im Grad 8b jetzt auch nicht unbedingt erstaunlich ist. Natürlich war ich trotzdem sehr zufrieden, nur ganz wenige Moves waren mir hier nicht, bzw. nicht auf Anhieb gelungen und es hatte enorm Spass gemacht, am sonnengewärmten Fels in dieser luftigen Exposition zu klettern. Um wieder zurück zum Materialdepot zu kommen ist der Fussabstieg sicher die schnellste Möglichkeit, man kann aber auch Abseilen (mind. 2x35m Seil bzw. 70m-Einfachseil nötig!). Es sind 5 Manöver nötig, wobei es von Stand 4 über 2 gut sichtbare, routenunabhängige Stationen gerade hinunter geht. Achtung, die Sache ist sehr luftig, Pendeln ist unerlässlich!

Quelle: (c) Marcel Dettling

Facts:

Föhnmauer – Vaterland 8b (7c obl.) – 7 SL, 200m – Daniel Benz 2020

Material: 14 Express, für Rückzug/Abseilen mind. 2x35m bzw. 1x70m-Seil nötig. Obacht, teilweise scharfer Fels und querender Routenverlauf, Doppelseile sind ein Sicherheitsplus!

Steile und anspruchsvolle MSL-Sportkletterei in Talnähe, ideal geeignet für milde Wintertage. Die Route besticht durch einen richtigen Steigerungslauf in Sachen Schwierigkeit, abwechslungsreicher Kletterei mit origineller Linie und meist gutem Fels. Die ersten beiden Seillängen sind noch nicht erste Sahne, die querenden Leistenlängen danach aber powerig-genial und die technisch-crimpigen Schlusslängen bilden Challenge und Schlussbouquet zugleich. Mit Ausnahme der sparsam gebohrten Einstiegslänge ist die Absicherung durchgehend gut bis sehr gut und den Schwierigkeiten angemessen. Trotzdem wartet so manch eine zwingende Stelle, insbesondere muss der technische Fb 7BC-Boulder der Crux obligatorisch gemovt werden… Das zurzeit beste Topo von der Föhnmauer findet man auf der Eastbolt-Seite, allerdings ist’s auch nicht mehr ganz aktuell. Einerseits wurden Bewertungen angepasst, andererseits fehlt die hier beschriebene Route (bzw. das Zwischenstück mit den Längen 3 und 4), aber der Verlauf (13, 8, 5, 4 und dann über die neu eingebohrte Passage ins Projekt 3) dürfte trotzdem klar sein, insbesondere mit dem Fototopo oben in diesem Beitrag.