Nach der winterlichen Wettkampfpause meldet sich Vorstiegsweltmeister Jakob Schubert bereit für den Weltcupauftakt zurück und erzählt uns rechtzeitig zum Videorelease, warum sein
Boulderprojekt ‚Sleepwalker‘ (8C+) nahe Las Vegas beinahe zum Alptraum geworden wäre.

Dein neuestes YT Video zeigt dich in einer ungewöhnlichen Situation – Jakob Schubert kämpft
wochenlang mit einem einzigen Boulder. Gewinnst oder verlierst du am Ende?
Definitiv beides! Es war eine kurzfristige Entscheidung Ende Jänner gemeinsam mit zwei sehr guten
Freunden, Nicolai Uznik und Michael Piccolruaz, in die USA zu fliegen. Ziel waren die Red Rocks
nahe Las Vegas und ein relativ schwerer Boulder. Das Video zeigt den Prozess, den ich im
Sleepwalker, einem 8C+ Boulder, durchlebt habe. Vom Schwierigkeitsgrad her der schwerste
Boulder, den ich je probiert habe, und doch hatte ich mir Chancen ausgerechnet, ihn relativ schnell zu
schaffen. Im Video sieht man die Struggles, aber auch, wie genial die Stimmung ist, wenn wir
gemeinsam bouldern.

Du bist ‚ohne Ergebnis‘ von diesem USA Trip nach Hause gekommen – würdest du im
Nachhinein betrachtet nochmal genauso an das Projekt herangehen?
Ich bin immer noch überzeugt, dass ich es draufgehabt hätte, den Boulder zu klettern und ein paar
Entscheidungen etwas anders zu treffen, hätten das Resultat verändert.
In so einem Prozess lernt man immer sehr viel über den Boulder selbst. An den ersten Tagen war es
viel zu kalt und somit viel zu trocken, eigentlich unmöglich zu klettern. Wir haben da sicherlich
körperlich zu viel investiert und Haut zerstört, die mir zum Ende hin schlichtweg gefehlt hat. Mit zwei
Cuts an den Fingern in so einen Boulder zu gehen, ist alles andere als ideal. Der ein oder andere
Ruhetag mehr und mehr Haut für die besseren Bedingungen gegen Ende des Trips – das wäre das
bessere Rezept gewesen.

Zwei Wochen lang der ganze Fokus auf einen Boulder. Du hast dir das in den Kopf gesetzt und
willst es unbedingt schaffen, auch wenn es bedeutet, mit ‚leeren Händen‘ nach Hause zu
kommen – ist das Verbissenheit oder Sturheit?

Früher hat es mir im Vorstieg immer am meisten Spaß gemacht, viele Routen im zweiten, dritten
Versuch zu klettern – schwierig genug, dass ich sie nicht onsight oder flash schaffe, aber auch nicht
so schwierig, dass ich ewig herumprobieren muss. Davon möglichst viele in einem Trip abzocken,
das war auch im Bouldern lange mein Ziel.
Es ist natürlich cool, wenn man zum ersten Mal in den Rocklands in Südafrika ist, all die Klassiker auf
einen Haufen hat und einfach mal durchgeht und sehr, sehr viele Boulder macht, die knapp unter dem
eigenen Niveau sind. Das fasziniert auch andere Leute, wenn man quasi alles innerhalb kürzester
Zeit abgrast.


In den letzten Jahren habe ich immer mehr begonnen, mir ein ganz schweres Projekt zu suchen und
an dem zu arbeiten. Perfecto Mundo ist dafür ein Beispiel – da habe ich gemerkt, wie viel ich über
mein eigenes Klettern am Fels dazulerne. Alles muss perfekt sein, wenn man so ans Limit geht.
Diese Herangehensweise macht nicht zwingend mehr Spaß, aber es hilft, wenn man sich verbessern
will. Das macht es für mich spannend.
Im Bouldern war ich bisher relativ wenig am Probieren und Projektieren und Sleepwalker mein erster
Trip unter diesem anderen Gesichtspunkt. Hat sicherlich nicht so
viel Spaß gemacht, als wenn ich jeden Tag einen anderen Boulder probiert hätte. Allerdings bin ich
mit dem Gefühl zurückgekommen, viel dazugelernt zu haben.
Diesmal ist es tatsächlich nicht gut ausgegangen, normalerweise komme ich doch noch irgendwie
rauf und hab dieses wahnsinnige Glücksgefühl. Jetzt habe ich lernen müssen, dass man das nicht
immer haben kann und würde deswegen sagen, dass es die richtige Entscheidung war.

Wie erklärst du Außenstehenden diese akribische Herangehensweise? Wie schaut das bei dir
im Kopf aus, wenn du in so einem Projekt steckst?
Nach wie vor glaube ich, dass 8C+ nicht mein Limit sein muss, es kommt immer ein wenig auf den
Boulder drauf an und wie sehr dieser mir entgegenkommt. Beim Sleepwalker hatte ich diese
Hoffnung, dass er mir nach ein paar Tagen gelingen würde, musste allerdings schnell feststellen,
dass ich mehr investieren werde müssen und das war schon mal ein wenig frustrierend. Das Ego hat
man schließlich auch im Gepäck. Als Kletterer will man in jedem Stil gut sein, will wenig Schwächen
haben. Bei diesem Trip haben ich und das ganze Team ein paar Defizite aufgezeigt bekommen.
Besonders auf den Untergriffen habe ich mich zu Beginn sehr verloren gefühlt.
Am Abend nach einer Session überlege ich extrem viel, was ich besser machen kann. Am Anfang
geht es viel darum, die passende Variante für sich selbst zu finden. Was kann der Trick sein, der für
mich funktioniert? Vor dem Einschlafen gehe ich den Boulder mehrere Male im Kopf durch. Am Tag
selbst geht es darum, sich alles sehr gut einzuteilen, sich immer voll auf den jeweiligen Versuch zu
konzentrieren und in diesem Go alles aus sich herauszuholen. Danach brauchst du eine Pause, nicht
nur physisch, sondern besonders auch mental. Du kannst dich nur wenige Male hintereinander in den
Beast-Mode versetzen.

2021 hast du praktisch alles ‚im Vorbeigehen‘ gemacht, auch viele Routen abgewertet, warst
unantastbar und jetzt beginnst du 2022 mit einem ‚negativ‘ Ergebnis. Untypisch für dich. Was
lernst du daraus?
Untypische Situation – ja und nein. Es kommt immer sehr darauf an, wo man seine Zeit verbringt. La
Cappella beispielsweise ist mir extrem entgegengekommen, die Red Rocks mit dem Sleepwalker
nicht ganz so. Man ist nicht in jeder Phase gleich fit, aber am Selbstvertrauen nagt das nicht sofort.
Ich fühle mich jetzt im Training wieder sehr gut und habe mich auf die Weltcupvorbereitung
konzentriert, auch wenn ich dieses Jahr am Felsen einiges vorhabe.
Was ich sicherlich lernen durfte, ist, dass ich beim Projektieren eines Boulders am Felsen bei weitem
noch nicht so erfahren bin wie im Routenklettern. Beim nächsten Mal muss ich es auf jeden Fall
taktisch besser angehen, mit Pausetagen, Versuchen und in der mentalen Vorbereitung.

Nächstes Wochenende beginnt die Wettkampfsaison – was nimmst du aus den Red Rocks
Erfahrungen mit auf die Wettkampfwand?
Die Schwächen, die uns allen in den Red Rocks aufgezeigt wurden, motivieren enorm fürs Training
danach. Ich habe sicherlich mehr reingesteckt, als ich das vielleicht sonst getan hätte und nochmal
härter an mir gearbeitet. Das hat mir definitiv was für die Weltcupsaison gebracht, ich fühle mich sehr
gut vorbereitet.

Was dürfen wir von Jakob Schubert beim Weltcup in Meiringen erwarten?
Im Bouldern ist das immer sehr schwer vorherzusehen. In den letzten Jahren waren die ersten ein bis
zwei Weltcups leider nicht sehr ertragreich, ich habe nie das Halbfinale überstanden. Daher ist es
heuer mein Ziel, schon bei den ersten Weltcups gut reinzukommen, das Halbfinale zu erreichen und
mich wohlzufühlen. Die Qualifikation ist für mich immer die schwierigste Runde, im Halbfinale werden
die Boulder schwerer und ich tue mir meistens leichter, habe eine weitaus höhere Erfolgsquote von
dort aus ins Finale zu kommen. Somit erstmal volle Konzentration auf die Qualifikation.
Vor allem auf technischen Bouldern und Platten bin ich besser
vorbereitet als in der Vergangenheit und freu mich auf die Herausforderung.
~
Bildnachweis: Michael Piccolruaz, Simon Rainer
Bildmaterial zur redaktionellen Verwendung honorarfrei.

Der Name Jakob Schubert steht seit Jahren für Ausrufezeichen im internationalen Klettersport, im Wettkampf wie auch beim Felsklettern. Der 31-jährige Innsbrucker hat beim Olympia-Debut der Kletterer die Bronzemedaille gewonnen, ist 4-facher Weltmeister, 7-facher Gesamtweltcup-Sieger in unterschiedlichen Disziplinen und hält den Rekord für die meisten Weltcupsiege hintereinander.