Der Plankenstein (1768 m) in den Bayerischen Voralpen hat sich in den letzten Jahren Dank Ralf Sussmann und „Neuentdecker“ David Bruder mittlerweile zu einem der Mixedkletterei-Eldorados in Deutschland entwickelt. Hier kann man so jeweils gut mit Bohrhaken oder halt klassisch abgesichert klettern. Mittlerweile gibt es allein von Ralf Sussmann insgesamt acht Mixedrouten. Hier dazu Ralfs Bericht:

„Plankenstein-Winterzyklus“: Unsere acht Mixedrouten durch die Nordwand

Überblick der 8 neuen Mixedrouten durch die Plankenstein-Nordwand.

  1. Erster Ostgratturm – „Grasmobbelparade“ (200 m, M6, E2+)
  2. Zweiter Ostgratturm – „Tegernseer Eisbock“ (260 m, M8/A1, E2+)
  3. Dritter Ostgratturm – „The Pillar of Cold Beers” (245 m, M7-, E2+)
  4. Hauptgipfel – „Black Magic“ (345 m, M7, E4-)
  5. Hauptgipfel – „Wintertagtraum“ (380 m, M6 [Türmchenvariante M7], E2+)
  6. Hauptgipfel – „Direkte Nordwand (Winterroute)“ (360 m, M7/WI5-, E3-)
  7. Hauptgipfel – „White Magic“ (380 m, M7+, E2+)
  8. Hauptgipfel – „Crack´n Turf Line” (310 m, M7-, E3-)

 

8. Februar 2021, M7+ Länge der „White Magic“: Die Gipfelplatte ist 50 m hoch und senkrecht, im Sommer wär´s wohl hart und im Winter ist der Plan verwegen: Von unten rechts zieht ein feiner toolbarer Diagonalriss durch und der Fels ist von front-pointbaren Mikrolöchern nur so übersäht. Vom Standbolt schwing ich mich links hinaus mit einem Friend und unvermittelt steht man 6 m über Grund mitten in der Senkrechten. Zwei Waden und zwei Unterarme fangen an zu ziehen und hören die nächste Stunde nicht mehr auf. Mit Ruhe beide Geräte in den liegenden Riss gedrückt und auf Rotationsverbiegung zart nach unten gezogen – nur ja immer beide gleichzeitig nur belasten, um den drohenden Hauenabdreher zu vermeiden. Die Füße sortieren in perfekte Mikrolöcher für den Mono-Front-Point (in meinem Alter wär´ da ja a Brille hilfreich). Der tote Riss bietet nur grobe Orientierung, Klettern kann man in diesem Meer aus 3 mm-Löchern überall. Fieberhafte Suche nach einem Punkt zum Anklettern, wo ist die nächste Rast- und Bohrlocation? Nur eine plattige Rissverflachung 4 m weiter oben, kaum mehr als etwas Hoffnung. Also beherzt voran, Schritt für Schritt, Hook für Hook. Mittlerweile wird auch nur noch an Löchern gehookt, weil der Riss sich mehr und mehr verschließt. In der offenen Wand sind die Mikro-Placements grad´ so ausreichend, aber die Körperposition ist wacklig und man droht bei jedem dieser Schräg-Moves in Zeitlupe über den eigenen Rumpf seitlich wegzurollen. Zurückklettern geht schon lange nicht mehr und so entfernt man sich meterweise vom letzten Sicherungspunkt. Der anvisierte Rastpunkt? Entpuppt sich als besonders plattig – fuck. Aber 2 m weiter grinst eine Rissöffnung hoffnungsfroh herab. Also vier weitere Scary Moves, stürzen möcht´ ich jetz´ grad nimmer, bis dann eine Haue bis auf Anschlag in das Rissloch fällt: Bomber Pro, hier wird gebohrt! Weiter geht’s in eine Nische. Hier kann man mal auf Schulter eingedreht, gestützt, recht gut aus freier Stellung bohren, und schon geht’s 4 Meter hoch im Riss zum Schlüssel-Überhang. Der Riss wird schon wieder tot, aber mit einem verzweifelt weiten Zug kann ich das Gerät total überstreckt in ein Mini-Grasmobbel versenken. Ich schlage paarmal nach, aber jedes Mal wird das Mobbel schlechter. Also zart belasten und das 2. Gerät direkt daneben. Naja, ich muss mich hier wohl reinhängen zum Bohren … Noch während ich die Bohrmaschine greife folgt ein abrupter Salto rückwärts. Auf dem Rücken kopfvoraus geht´s runde 8 m hui die Platte runter. Richtig langes Flugerlebnis, die arme grüne Gore-Texjacke. Eisgeräte, Bohrmaschine, alles wirbelt lustig durch die Luft. Es dauert etwas, bis ich rauskriege, wo verdammt nochmal hier oben oder unten ist. Minuten später wieder zurück auf Los, seh´ ich unterhalb der Grasmobbels eine zweite Rissöffnung, in der sich die Haue nochmals bis auf Anschlag reinversenkt. Der Rest der Länge ist noch schwer, aber der Weg zum Gipfel frei und eine unserer geilsten Mixedlängen am Planki ist gelungen.

Doch wie kam´s überhaupt dazu, dass wir am Planki diese Art von Wintersport betreiben? Also kurz der Reihe nach:

Pfingsten 1983: Ich hab´s Abi, mein Bruder Gerald Barrasurlaub. Wir zelten am Plankensteinsattel und bringen uns selbst das Klettern bei. Nach einer 3er-Übungskletterei muss am 2. Tag „was G´scheites“ her. Also ´runter zum Einstieg der „Alten Nordwand, 400 m, 4+“, lt. Zebhauser-Voralpen-Kletterführer, geklaut aus dem Bücherschrank des Vaters. Nach Einstiegsverschneidung, einem liegend-engen Kamin, viel Grasbändern und Bäumen sowie einem Riesen-Klemmblock stehen wir unter der steilen Schlüssellänge: Die „Bauriedl-König-Variante 4+“, erstbegangen 1905 vom berühmten Münchner Kunstmaler, Uni-Prof. und Alpinisten Otto Bauriedl. Mein Bruder vergräbt die Fingern im Gras, moved beherzt die Steilrampe hoch von Grasmobbel zu Grasmobbel (coole Rastpunkte), fädelt Bandschlingen durch wackelige, 80 Jahre alte Originalhaken. Gottseidank sind wir beide mit zwiegenähten Bollerschuhen mit Vibramprofil am Weg auf all dem Steilgras.

Erster Februar 1987, wir trainieren für die 3 Nordwände Walker, Eiger, Matterhorn: Der grasmobbeldurchsetzte Plankenstein wär´ doch Übungsgelände für Steigeisen? Ein Meter Neuschnee, Zufahrt mit der Ente in Sommerreifen. Arktisch kalt, mit Koflach-Plastikbergstiefeln in der Tourenbindung geht’s zum Einstieg des „Gesamten Ostgtrats, der längsten Kletterfahrt am Plankenstein, Schwierigkeit bis V“, so steht´s im Zebhauser. Bald kommt ein senkrechter Kamin. Am Ende schlage ich einen Profilhaken für Hängestand, weil nachher überhängender Latschenschnee folgt. Das fühlt sich extrem an. Bei besseren Verhältnissen würde man heute M5 sagen, aber Mixedbewertungen gab´s 1987 noch lange nicht. Der Tag wird länglich, nach ungesichertem Steilrinnen-Schneegewühle, Hakenschlagen, Latschen-Ankerstich-Abbinden, luftigen Gratpassagen über 1. und 2. Ostgrattturm geht´s südseitig auf den 3. Turm. Mit einem luftigen Abseiler in die Scharte zum Hauptgipfel. Hier sehr exponiert ein erinnerlicher Rechtsquergang und immer noch kein Ende. Am Hauptgipfel war´s ein würdiges Walker-Training mit 13 zehrenden Winterlängen geworden.

Dritter April 1987, wir trainieren weiter für die 3 Nordwände. Die Planki-Nordwand mit den senkrechten Bauriedel-Grasmobbels muss auch noch ´mal im Winter her. Zufahrt mit der Ente in Sommerreifen … In Wandmitte ramme ich mir den Frontzacken bis zum Anschlag in die linke Wade. Hose hoch, oh Gott ein Loch im Fleisch, aber es blutet nicht mal richtig. Vermutlich, weil ich so erschrocken bin, oder weil´s mir heut´ so kalt ist? Weiter geht´s, wir sind schließlich nicht zum Spaß da. Am Gipfel Schneetreiben und wir sind begeistert von einer richtig guten Nordwand. Grasmobbel im Winter ham´ was. Vor allem wenn sie durchgefroren sind. Bald gehen wir auch noch das alte Plankenstein-Südostband (M5), später die Nordostschlucht (M4) im „Scottish-Mixed-Style“, aber das Wort gab’s ja damals gar nicht.

Weihnachten 2018. Nach jahrzehntelangem Wiederholen und Erschließen vieler großer und kleiner Alpennordwände geht´s zurück an den Ort der Jugend. Immer noch mit Neugier: Wie werden sich die gefrorenen Planki-Grasmobbel mit der aktuellen Mixed-Ausrüstung anfühlen? Damals vor über 30 Jahren hatten wir sie meist mit Wollhandschuhen nur geputzt, gegriffen und gemantelt. Natürlich geht das heute besser – und zwar wie! Das beinahe schwerelose Hochklettern durch senkrechte Kalkwände an vereisten Grasmobbels hat so viel mehr Eleganz und Leichtigkeit als jede Eisfall-Hackerei. Beim Schlagen der Geräte splittert nichts und es gibt einen lustvoll-saugenden Soft-Impact, fast wie in Hartgummi! Es folgen 3 intensive Plankenstein-Winter wie im Rausch.

Die Saison reicht von November bis April, bei Frozen-Turf-Verhältnissen (#meteoblue risserkogel) gehen wir oft wöchentlich rauf zum Planki. Wir, das ist neben meiner Wenigkeit eine bunte Truppe aus begeisterten Mitstreitern aller Alters- und Berufsklassen: Martin Krause (teslafahrender Luft- und Raumfahrt-Ingenieur), Dr. Martin Mißlbeck (Medizinphysiker), Andi Biberger (Bergführer), Sven Böhrnsen (SAP-Vereinfacher), Andi Wunsch (Informatiker). Und während wir noch erstbegehen, werden alle Routen auch schon fleißig wiederholt. Es bildet sich schnell eine Planki-Mixed-Freunde-Community: Allen voran die frisch eigererprobten Leo Akinbiyi und Terence Stenvold, Marina Krauss (AV-Spitzen-Team Ebersberg) mit Biohof-Michi Lauerer, der Chiemgauer Bergführer Thomas Scherzer mit Freundin und Kunden, der Bayer-auf-Reisen-Michi Mayer und der starke Gleitzeitalpinist Lars Loichen, mein alter Erstbegehungsmitkämpfer Richard Baur mit dem Fracking-Uwe Dannwolf, die Bergführer und Isarwinkler Urgesteine Sebastian Brandhofer, Moritz Filger und Andi Biberger mit Freunden und Kunden, die Münchner „Leicht Fotografie“-Kerstin, der Kochel-Boulderer Martin Krause mit Max Guba, Florian Kopp, Frank Schauer aus Garmisch, David Bruder (München), der neben unserer Zwischen-Bolts auch mal lieber eigene Grashakln rein drischt, Max Gotzler der 10er-Kletterer der Kochel-Gründerzeit mit dem starken Alt-Alpinisten Peter-(Meistersache.com) Kübrich, sorry ich hab´ hier sicher viele nicht erwähnt …

Unter nachfolgendem Link veröffentlichen wir hier erstmals alle unsere Plankenstein-Winter-Topos:

https://www.nordalpenklettern.lima-city.de/Plankenstein_Mixed.htm

Unsere Ernsthaftigkeits-Bewertungen sind jeweils mit angegeben und variieren von E2+ (Grasmobbelparade) bis E4- (Black Magic): Wenn diese Angaben bei der individuelle Tourenplanung und Risikoabwägung mit herangezogen werden, hilft das vielleicht mit, einige Unfälle zu vermeiden. Wenn ihr Gefallen an der einen oder anderen Tour findet, würden wir uns über einen Wiederholer-Report und ein paar Fotos sehr freuen an ralf.sussmann(äd)kit.edu. Euch allen gute und allzeit sichere Wintertage!

Murnau, 3. Feb. 2022